Der Hymnos Akathistos ist eines der kostbarsten und kunstvollsten Kleinode aus den reichen Schätzen der byzantinischen Literatur und er ist wohl der schönste und volkstümlichste auch im Abendland bekannte Marienhymnus. Er wird wegen der Erhabenheit seines Gegenstandes von der Gemeinde immer stehend, also „nicht sitzend“ (a-káthistos) mitgebetet, während man zum Beispiel beim Vortrag eines liturgischen Kathisma sitzt.

Er wird seit über 1200 Jahren hauptsächlich in der Ostkirche gebetet und gesungen, seit dem 9. Jahrhundert im Morgengottesdienst (Orthros) des fünften Samstags in der Großen Fastenzeit. Während der ebenfalls in der Fastenzeit gesungene Große Bußkanon des hl. Andreas von Kreta der gläubigen Seele vor Augen stellt, was sie falsch gemacht hat, bietet der Akathistos die Verheißungen der für Gott geöffneten Seele dar. Er bildet damit einen liturgischen Höhepunkt der Fastenzeit.

Die 12 Kondakien und Ikoi (insgesamt  24 „Strophen“) beginnen im Griechischen der Reihe nach  mit den Buchstaben des Alphabets. Strophe für Strophe erweist sich die schöpferische Synthese von Paradoxien als dichterisches Prinzip. Die „historischen“ Strophen 1 bis 12 erzählen die Ereignisse von der Verkündigung bis zur Darstellung Jesu im Tempel, die „theologischen“ Strophen 13 bis 24 die heilsgeschichtliche Bedeutung der Inkarnation.

Die Ikoi werden durch eine litaneiartige Reihe von jeweils zwölf „Begrüßungen“ der Jungfrau abgeschlossen, die mit dem Engelsgruß „chaire“ (freue dich / sei gegrüßt Lk 1,28) beginnen; den krönenden Abschluß dieser Begrüßungen bildet zusammenfassend der unnachahmliche Kehrvers, der das Paradoxon der jungfräulichen Mutterschaft wiedergibt:  „chaire nymphe a-nympheute“ – „Freue dich, unvermählte Braut“ oder „Sei gegrüßt, o unvermählt Vermählte“.

Derart paradoxe Aussagen finden sich nicht nur in der byzantinischen Dichtung, sie sind letztlich die einzig angemessene Form, wenn es um das Wesen Gottes geht, das immer Geheimnis bleibt.

Bezeichnend für die ostkirchliche Spiritualität aber ist es, daß die Liebe zur Gottesmutter sich nicht zu einem „Marienkult“ verselbständigt hat: So innig und tief diese Verehrung ist, verweist sie letztlich immer auf Christus, den die Gottesgebärerin Maria geboren hat. Sie bleibt stets in den gesamten liturgischen Kult eingebettet. So zeigen die verschiedenen Grundtypen der Ikonen der Gottesgebärerin die Stufen des geistigen Weges des Menschen auf, von der „Wegweiserin Hodegitria“ zur „Liebkosenden“ und zur „Muttergottes des Zeichens“.- Dem entspricht auch der Akathistos-Hymnus.

Vor allem in der Russischen Orthodoxen Kirche dient der „Ur-Akathistos“ als literarische Vorlage für weitere Akathistos-Hymnen unter anderem auf die Auferstehung Christi und an den Heiligen Nikolaus.